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Rückblicke

NASCAR Saison 1957 – Hersteller verlassen die Tafel – Bill France zahlt

Doch die Situation änderte sich schlagartig am 19. Mai 1957. Bei einem 500 Runden Grand National Rennen auf dem Martinsville Speedway raste der Mercury von Bill Myers in die Begrenzungsmauer, und flog mitten in die Zuschauer. Ein achtjähriger Junge und vier weitere Menschen erlitten schwerste Verletzungen. Die Titelzeilen der Zeitungen, wie auch die Nachrichten in Funk und Fernsehen machten den schrecklichen Unfall landesweit publik. Für die Direktoren der AMA, die als Lobbyisten in der Politik seit dem Krisenjahr 1956 schon genügend Schwierigkeiten hatten, war genau diese Publizität nicht gern gesehen. Am Dienstag, dem 6. Juni 1957, kamen die Bosse mehrerer Automobilfirmen, die gleichzeitig das Direktorium der AMA bildeten, zu einer Krisensitzung zusammen, und gaben die Empfehlung aus, das die Industrie sich aus dem Motorsport und allen Wettbewerben in denen es um Motorleistung geht, raushalten sollten. Das Gremium empfahl, in der Werbung für Autos, die Funktion als komfortables, sicheres Transportmittel herauszustellen, anstatt ihre Motorleistung und Geschwindigkeit zu beschreiben. Obwohl nur als Empfehlung deklariert, fügte sich die Industrie, vermutlich auch auf Druck von politischer Seite, widerstandslos. Die Flotte der Werkswagen blieb in den Händen der Fahrer, die sich urplötzlich in der Rolle als Teambesitzer wiederfanden. Am Horizont kündigten sich schwerwiegende Änderungen an.

Armaturenbrett eines NASCAR Wagens im normalen RenntrimmDie Empfehlungen der AMA waren erst ein paar Stunden alt, als Bill France bereits ein gut vorbereitetes Statement abgab. „Wir werden so weiterarbeiten wie bisher,“ erklärte France. „Wir bemühen uns, allen technisch, und gleichzeitig sportlich, Interessierten Amerikanern eine Gelegenheit zu geben, ihre Automobile auf abgegrenzten Arealen, abseits der Highways zu testen und wir werden diese Möglichkeiten, in allen Teilen des Landes, erweitern und ausbauen. Auch in Zukunft bleibt Sicherheit das zentrale Ziel der National Association of Stock Car Auto Racing. Damit ist es unverzichtbar das wir Stätten zur Verfügung stellen, in denen nicht nur die Grenzen der Geschwindigkeit, sondern auch die der Bremsen, des Fahrwerks, der Karosserie und des Fahrkönnens, erforscht und weiterentwickelt werden können.“ France nahm auch die Politik aufs Korn. „Ich bin sicher, wenn die Industrie sich aktiv den Herausforderungen eines NASCAR Rennens stellen würden, könnten sie eine Menge über Fahrleistung, Fahrsicherheit und Fahrverhalten lernen. Insbesondere bezüglich ihrer eigenen neuen Modelle, die sonst nur am Reißbrett getestet werden. Technik, die sich auf der Rennstrecke bewährt, findet schnell Eingang in die Produktion, weil Schwachstellen hier von ausgebildeten Männern gefunden und benannt werden. Die Autohersteller können sich nicht von der moralischen Pflicht befreien, den Menschen dieser Nation sichere Produkte anzubieten.“

Lokalmatador Tom "Tiger" Pistone im Chevrolet Bel AirBill France hatte zumindest die Hoffnung, das ohne die Werkswagen wieder vermehrt private Teams in den Rennen antreten. Um den Ausfall der Firmengelder zu kompensieren, forderte er die Veranstalter auf, ihre Preisgelder, insbesondere für die Sieger, kräftig anzuheben. Zu Anfang der Saison 1957 lag die Siegprämie bei durchschnittlich $650. Nach dem Rückzug der Hersteller stieg der Durchschnitt auf $1000. Das erste große Rennen nach dem Ausstieg der Autoindustrie, war das Raleigh 250, auf dem gleichnamigen 1-Meilen Asphaltkurs. Die gesamte Preisgeldsumme betrug $14.300, und France konnte mit einem großen Starterfeld den Stock Car Fans beweisen, das es auf dem Soldier Field in Chicago, IL so weiterging wie bisher. Startberechtigt waren 60 Wagen, aber nur die Hälfte konnte auch Preisgelder erwarten. Um seine 60 Teilnehmer zusammen zu bekommen, garantierte er jedem Besitzer der anreiste, $300 pro Wagen. Letztlich nahmen 53 Wagen das Rennen auf, das Paul Goldsmith auf einem Ford gewann. Seine Siegprämie betrug $4.000. Bill France spendierte 39 Teams insgesamt etwa $8.850 als „Reisekostenzuschuss“. Dieses Reisegeld machte einen tiefen Schnitt in seine eigene gut gefüllte Börse, aber es war eine Investition in die Zukunft — und die Zukunft zahlte gut zurück.

Buck Baker holte seinen zweiten Grand National Titel auf einem Chevrolet, einem ehemahligen Werkswagen, den er weiter konkurrenzfähig gehalten hatte. Er siegte 10 mal bei 40 Starts und sammelte $30.763 Preis- und Punkteprämien ein. Der Veteran aus Charlotte, North Carolina, kam insgesamt 38 mal in die Top 10, dabei 35 mal ohne Unterbrechung — ein NASCAR Rekord. Ken Rush aus High Point, North Carolina, der beim Grand National als auch bei den Convertibles angetreten war, erhielt den Titel Rookie of the Year. Er war der erste Fahrer, der diesen Titel bekam, seit Blackie Pit 1954 als Top Freshman Driver gekürt wurde.

© 1987 Gregory Lawrence Fielden
FORTY YEARS OF STOCK CAR RACING
Deutsche Fassung © 2004 Reiner Melching